Wenn sie nicht mehr da sind, ist das Geschäft tot
27. April 2018 08:29 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
„Wenn sie nicht mehr da sind … „ – gemeint sind die elektronischen Informationen. Wir befinden uns zu 100% in der Abhängigkeit von der Richtigkeit und Verfügbarkeit von elektronischer Informationen. In einer Websession von SER nahm Dr. Ulrich Kampffmeyer hierzu Stellung: „SER Experten Talk mit Dr. Ulrich Kampffmeyer“ am 23.11.2017. Sparring-Partner war Stephan Kizina, ECM-Evangelist von SER. Der Grundtenor der Websession war „Wo stehen wir beim Thema Digitalisierung?“. Aus der Websession erstellte SER eine Zusammenfassung als Interview, die im SER-Magazin 01/18 veröffentlicht wurde.
Das Interview im SER-Magazin (PDF)
Die Webinar-Aufzeichnung (Youtube)
Der Entwurf der Folien (Slideshare)
„Wenn sie nicht mehr da sind, ist das Geschäft tot“
Wo stehen Unternehmen in Sachen Digitalisierung? Wie behält man das Große im Blick, auch dann, wenn man klein beginnt? Welche Pferdefüße gibt es? Wie wirkt sich Künstliche Intelligenz auf ECM aus? Im SER-Webinar Special diskutierten Eventevangelist Stefan Kizina und Unternehmensberater Dr. Ulrich Kampffmeyer, was die digitale Zukunft für Unternehmen bereithält. Die spannendsten Punkte haben wir für Sie auszugsweise zusammengestellt.
Dr. Ulrich Kampffmeyer beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit ECM, Informations- & Dokumentenmanagement. Der Unternehmensberater wird von Fachzeitschriften zu den 100 wichtigsten IT-Machern in Deutschland gezählt.
Kizina: Herr Dr. Kampffmeyer, Sie beobachten den Markt für Informationsmanagement: Wo stehen Unternehmen im Moment, wenn es um digitale Geschäftsprozesse geht?
Dr. Kampffmeyer: Zunächst haben Unternehmen eine gewachsene Infrastruktur und können manchmal technisch gesehen gar nicht so, wie sie wollen. Zum Zweiten vermisse ich häufig das Denken in Geschäftszielen: Es geht um den Zweck, wofür ich etwas tue, und nicht primär um eine neue, moderne Technik, die unbedingt eingesetzt werden muss. Und das Dritte ist natürlich, dass die Geschwindigkeit und Komplexität der Informationen so groß geworden sind, dass Unternehmen oft einfach nicht mehr hinterherkommen.
Kizina: In wie weit ist ECM geeignet, um hier zu helfen und Geschäftsprozesse zu digitalisieren?
Dr. Kampffmeyer: Viele Geschäftsprozesse laufen bereits in Anwendungen wie CRM oder ERP. Deshalb muss man sehr genau hinschauen, für welchen Zweck welche Funktionalität man wo und wofür einsetzt. Geschäftsprozesse abzubilden ist auf jeden Fall eine Kernkompetenz von ECM. Das beginnt schon beim Erfassen von Dokumenten im Postkorbsystem und geht weiter beim klassischen BPM Business Process Management, aber auch im kollaborativen Bereich, wo man nicht mit vorstrukturierten Prozessen arbeitet, bis hin zur elektronischen Akte, die ebenfalls die Steuerung von Prozessen übernehmen kann.
#ECMtalk „Strategie vor Organisation. Organisation und Menschen vor Technik.“
Kizina: Ein ECM-System ist mehr als nur ein „dummes Archiv“: Es macht Informationen in Prozessen nutzbar. Sie sagen, dass Informationen nur dann einen inhärenten Wert haben, wenn man sie als Wissen in Prozessen nutzt.
Dr. Kampffmeyer: Eine große Herausforderung: Viele Anwender wissen gar nicht, welchen Wert Ihre Informationen haben. Aber wenn elektronische Information nicht mehr verfügbar ist, ist in unserer digitalisierten Ära das Geschäft schnell tot.
Kizina: Die Kernaufgabe von SER als ECM-Hersteller ist es, dafür zu sorgen, dass Anwender die richtige Information im richtigen Moment und im richtigen Prozess erhalten. Es gibt dabei aber Tausende von Anforderungen. Was sagt Ihre Erfahrung, wie geht man das am besten an?
Dr. Kampffmeyer: Systematisch, beginnend mit der Strategie. Strategie vor Organisation, Organisation und Mensch vor Technik! Erst mal muss ich man sich darüber klar werden, wo die Wertschöpfung liegt, wie im Unternehmen gearbeitet wird und was in den jetzigen Prozessen gut ist. Es ist immer wichtig mit dem Positiven zu beginnen bevor man sich auf das „Verbogene“ oder schlecht Funktionierende konzentriert. Erst dann sollte man darüber nachdenken, welche Software man wo und wie einsetzt.
Kizina: Unternehmen wünschen sich bei einem ECM gerne eierlegende Wollmilchsäue. Ist das der richtige Einstieg?
Dr. Kampffmeyer: Ein ganz klares Jein! „Klein anfangen, aber das Große im Blick behalten“, lautet die Devise! Bei Ausschreibungen wird häufig alles an Funktionalität gefordert, auch wenn in der ersten Phase eines Projektes vielleicht nur eine Teillösung umgesetzt wird. Aber wenn man nicht das Große im Blick behält, dann schafft man sich von vornherein wieder Inseln oder sogar Lösungen an, die nicht leisten, was man zukünftig vorhat. Deshalb braucht man einen großen „Bebauungsplan“, um dann stufenweise einen Schritt nach dem anderen umzusetzen. ECM als Unternehmenslösung funktioniert nicht wie einfach einen Schalter umlegen.
#ECMtalk „Klein anfangen, aber das Große im Blick behalten!“
Kizina: Kleine, vereinzelte Maßnahmen bringen also nichts. Eine umfassende Strategie muss her. Aber: Das ist wohl oftmals in den Köpfen noch nicht ganz angekommen. Das müssen wir definitiv ändern.
Dr. Kampffmeyer: Dies zu ändern ist angesichts der Geschwindigkeit, Verflechtung und wachsenden Komplexität nicht einfach. Eine Strategie definieren kann jeder CIO, aber diese bei dem ständigen technologischen Wandel durchzuhalten, fällt schwer. Hier braucht es eine passende IT- und Software-Infrastruktur, die auch auf zukünftige Anforderungen flexibel anpassbar ist. Leider haben wir zusätzlich auch noch eine Reihe von Hindernissen wie z.B. durch ständig neue regulative und rechtliche Anforderungen.
Kizina: Und wie wollen Sie Compliance nachweisen, wenn Sie nicht wissen, was wo gespeichert ist? Dafür möchte ich Unternehmen sensibilisieren, und da spielt natürlich das Thema Digitalisierung mit ECM, Dokumentenmanagement und Archivierung eine Riesenrolle.
Dr. Kampffmeyer: Sie sprechen das Thema Informationslandkarte an. Nur Information die ich kenne kann ich auch schützen und effektiv nutzen. Die ganzen regulativen Anforderungen rund um Compliance und Governance sind eigentlich Thema des Records Management, das in Deutschland kaum bekannt ist. Bei SER sind Sie ja ein erstes Stück Ihrer Records-Management-Zertifizierung nach ISO 16175 vorangegangen.
#ECMtalk „Die Relevanz von Zertifizierungen ist umstritten“
Kizina: Genau, für die ISO 16175-2:20 F. Da ist natürlich die spannende Frage: Welche Relevanz haben solche Zertifizierungen?
Dr. Kampffmeyer: Die Relevanz von Zertifizierungen ist umstritten. Ein Zertifikat zeigt dem potentiellen Käufer, dass eine Lösung theoretisch bei richtigem Einsatz die Erfüllung bestimmter rechtlicher Vorgaben unterstützen kann. Der „Stempel“ auf der Produktbox allein ist aber Augenwischerei, denn es kommt immer darauf an, wie die Lösung beim Anwender genutzt und betrieben wird.
Kizina: Da bin ich nicht ganz Ihrer Meinung. Zertifizierungen geben Orientierung. Aber der ehrliche Umgang mit ihnen ist wichtig. Eine Zertifizierung sagt aus, dass das Einhalten von Vorgaben mit dieser Software möglich ist. Aber man muss auch selbst etwas dafür tun: Prozesse entsprechend ausrichten, eine Verfahrensdokumentation haben usw.
Dr. Kampffmeyer: Sie fassen es in andere Worte – die Verantwortung hat immer das Anwenderunternehmen. Es trifft die Entscheidung, wie Lösungen eingesetzt werden.
#ECMtalk „ECM wird ohne KI nicht überleben können.“
Kizina: „Eine Entscheidung treffen“ ist ein schönes Stichwort. In Zukunft trifft vielleicht die Künstliche Intelligenz Entscheidungen. Natürlich machen wir uns als SER Gedanken über Künstliche Intelligenz: Wo kann man sie nutzen, wo kann man sie mit ECM kombinieren? Ich wage die These, dass Enterprise Content Management von künstlicher Intelligenz profitiert: Die automatische Klassifikation wird durch KI einfacher und schneller, die Informationserschließung durch selbstlernende Workflows usw. Künstliche Intelligenz, Automatisierung und ECM werden Hand in Hand gehen.
Dr. Kampffmeyer: Die Liste der Einsatzfelder von KI bei ECM-Lösungen ist sehr lang geworden und man kann heute konstatieren: auch Enterprise Information Management, die Fortführung von ECM, wird ohne künstliche Intelligenz nicht überleben! Ein Beispiel ist die visuelle Qualitätskontrolle beim Scannen: Die Maschine kann viel besser die Lesbarkeit prüfen als ein Mensch. Künstliche Intelligenz wird Routinearbeiten von Menschen automatisieren, wird selbst Bereitstellungs- und Ordnungsstrukturen entwickeln, dem Mitarbeiter die Suche durch vorausschauende Bereitstellung von Informationen abnehmen. KI trägt schon heute entscheidend zur Wertschöpfung im Informationsmanagement bei. Nur so kommt unser Thema auch wieder auf die Prioritätenliste der Entscheider.
Kizina: Ich würde unsere Diskussion gerne mit dem guten Albert Einstein zum Ende führen: „Die reinste Form des Wahnsinns ist, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ Es wird sich etwas ändern, selbst wenn manche Unternehmen noch nichts tun: Ihre Marktbegleiter werden digitalisieren. Und dadurch sind sie schlicht und ergreifend gefordert, ebenfalls weiter voranzugehen!