Sharepoint fordert den ECM-Markt heraus

16. September 2012 20:07 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Interview von Heinrich Vaske, ComputerWoche, mit Dr. Ulrich Kampffmeyer zu aktuellen Trends im ECM-Markt, Herbst 2012. 

München, ComputerWoche Ausgabe 38, 14.09.2012: Mit dem Kürzel ECM verbinden IT-Entscheider Dokumenten-Management und Archivierung – Pflichtthemen, die im Zeitalter von Cloud und Social Web nicht sehr sexy sind. Microsofts Sharepoint trägt dazu bei, dass sich die Branche neu erfindet.

Das Interview: http://bit.ly/CW-DrUKff
Der Artikel zum Thema: http://bit.ly/XING-ECM-Trends

 

Sharepoint fordert den ECM-Markt heraus

CW: Den Terminus Enterprise Content Management gibt es seit Jahren. Hat er sich nicht überlebt?

Kampffmeyer: Den Begriff gibt es seit über zehn Jahren. Aus dem Marketing-Blickwinkel hat er eine für die schnelllebige IT-Branche erstaunliche Kontinuität bewiesen. Inzwischen bemüht man sich aber, einen neuen Rahmen für die Branche zu setzen, denn ECM ist als Banner der Branche in die Jahre gekommen und die Anwender sind ohnehin nie so recht auf den Zug aufgesprungen. Nahezu alle Befragungen zeigen, dass IT-Entscheider mit dem Akronym nicht viel anfangen können. Das heißt aber nicht, dass ECM-Komponenten nicht eingesetzt und benutzt würden. Sie haben lediglich nicht die Aufmerksamkeit wie ERP, Sharepoint, CRM, Web 2.0 erlangt.

CW: Inwieweit beeinflusst Microsofts Sharepoint den Markt der klassischen ECM-Lösungen?

Kampffmeyer: Sharepoint ist Marktöffner und zugleich schärfster Wettbewerber für die traditionellen ECM-Anbieter. In den meisten Unternehmen ist Sharepoint in irgendeiner Form im Einsatz. Manche nutzen die Plattform nur für ein Intranet, andere haben ihre gesamte Infrastruktur für schwach strukturierte Informationen auf Sharepoint verlagert, wieder andere verwenden nur kollaborative Funktionen des Systems. Sharepoint selbst, auch in der zukünftigen Version 2013, deckt nur einen Teilbereich der von der AIIM definierten ECM-Funktionen ab. Deshalb bieten klassische ECM-Anbieter Zusatzmodule für Aufgaben wie Archivierung, Scanning oder Business Process Management an oder setzen gleich auf vollständige ECM-Adaptionen mit aufgepeppten Sharepoint-Lösungen. Und alle starren schon gebannt auf die Folgeversion Sharepoint 2013, die in puncto ECM noch mehr Funktionalität mit bringen wird.

CW: Ein Kernbestandteil von ECM-Initiativen ist die Elektronische Akte. Es geht darum, Bürovorgänge komplett zu digitalisieren und den alten Traum vom papierlosen Büro endlich wahr werden zu lassen. Der Workflow-Aspekt spielt eine entscheidende Rolle. Welche Fortschritte verzeichnen Sie hier?

Kampffmeyer: Man muss unterscheiden zwischen der Akte als reine statische Abbildung der Papierakte und der Akte als dynamischer Bestandteil der Vorgangsbearbeitung, oder auf Neudeutsch, des Case Management. In der elektronischen Akte werden Informationen aus verschiedenen Eingangskanälen zusammengeführt und im Sachzusammenhang visualisiert. Dabei setzt sich der Trend zur variabel nutzbaren virtuellen Akte durch – das heißt, eine einmal definierte Akte kann angepasst und für verschiedene Anwendungen genutzt werden. Hierbei werden über Metadaten unterschiedliche Sichten auf die zusammengehörigen Informationen ermöglicht, die je nach Berechtigung, Anwendungsfall, Technologie und geschäftlicher Relevanz eine optimierte Sicht auf alle aktuellen Informationen bieten. So können elektronische Akten effektiv auch in BPM- , ERP-, CRM- und Workflow-Lösungen eingebunden werden. Nicht als eigenständige Hauptanwendung sondern als Ergänzung bestehender Applikationen. Eigentlich ist die elektronische Akte ein Bestandteil des Records Managements, aber dieser Begriff ist in Deutschland noch unbekannter als Enterprise Content Management. Beim Records Management geht es darum, Ordnung zu schaffen und Informationen entsprechend Wert, Lebenszyklus, Aufbewahrungsregeln, Schutzattributen etc. nutzbar zu erhalten.

CW: Welche Rolle wird Cloud Computing für den ECM-Markt spielen?

Kampffmeyer: Das ECM-Portfolio, wie es die AIIM definiert hat, ist nur schwer in der Cloudverfügbar zu machen. Bei der Entwicklung der Lösungen haben die Anbieter meistens an individuelle, beim Anwender vor Ort installierte Lösungen gedacht. Doch die Zeiten ändern sich. In der öffentlichen Cloud gibt es bereits zahlreiche Angebote, die die Collaboration, das Speichern von Dokumenten und die Archivierung unterstützen. Diese Produkte sind in der Regel nur eingeschränkt anpassbar und können nur selten mit lokal installierten Softwareprodukten zusammenwirken.

CW: Es scheint aber, als könnten Cloud-Produkte trotzdem Erfolg haben.

Kampffmeyer: ja, denn ihr Einsatz ist preiswert und sie können vielfach sowohl von mobilen Devices über Apps als auch über Web-Clients und Browser genutzt werden. Die Möglichkeit, Informationen über alle Plattformen hinweg zu synchronisieren ist ein großer Vorteil. Trotzdem ist die professionelle Nutzung in größeren Unternehmen derzeit noch eingeschränkt, da zu viele Sicherheits- und Vertragsaspekte ungeklärt sind. Bisher fielen entsprechende Projekte aber eher in die Kategorie Outsourcing. Dagegen ist die öffentliche Cloud bei kleinen Unternehmen, Selbständigen und Privatleuten schon weit verbreitet. Neue Angebote von Anbietern wie Strato aber auch international von Amazon mit Glacier setzen auf den Trend. Nur braucht diese Klientel selten die volle ECM-Funktionalität. Selbst Sharepoint wie zum Beispiel in Office365 kann hier schon Overkill sein.

CW: Sie haben den Mobile-Trend angesprochen: Ändert die App-Kultur das Anwenderverhalten? Falls ja: Mit welchen Auswirkungen für die ECM-Welt?

Kampffmeyer: Auf jeden Fall. Apps sind ja im Prinzip kleine Fat Clients. Sie lassen traditionelle Benutzungs- und auch Browser-Oberflächen altmodisch erscheinen und sind auf die technischen Möglichkeiten von mobilen Geräten optimiert. War die Unternehmens-IT bisher bemüht, alle Funktionen und Programme unter einer Benutzeroberfläche zu integrieren, gewöhnen wir uns jetzt wieder daran, spezialisierte monolithische Anwendungen zu nutzen. Diese Programme sind meist intuitiv nutzbar, was man über die meisten Softwareanwendungen im Unternehmen nicht sagen kann. Trends wie Bring your own Device, neue Nutzungsmodelle und das Speichern von Inhalten in der Cloud tragen ein Übriges dazu bei, dass sich die Erwartungen der Anwender an Software grundsätzlich verändern. Auf ECM hat dieser Trend massiv Einfluss, da die Vielzahl an Funktionen und die sperrigen Objekte, sprich: Dokumente, stets eine besondere Herausforderung bedeutet haben. Elektronische Akten und das Blättern in 100-seitigen-PDFs sind halt nicht die typischen, akzeptierten Anwendungen auf einem Mobiltelefon, schon eher auf einem Tablett und vielleicht am Besten auf den alle Funktionen kumulierenden Ultra-eBook-Web-Tablet-Video-Fones der Zukunft.

CW: Ein weiterer Trend, der viele Unternehmen erfasst hat, ist das Social Business. Inwieweit verändert es die Anforderungen an klassisches ECM?

Kampffmeyer: Social gibt es in verschiedensten Ausprägungen und häufig geht es nur um die Umsetzung von Web 2.0- und Social-Ansätzen im Unternehmen als Enterprise 2.0. Social Business führt diese Ansätze weiter und kann fast als legitimer Nachfolger von ECM betrachtet werden. Zumindest sind ECM-Technologien in hohem Maße notwendig, um den Anspruch von Social Business mit Interaktion und Kommunikation innerhalb des Unternehmens, mit Partnern, Lieferanten, Kunden und der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Hierzu werden Social-Media, Web 2.0, Mobile, Cloud und Enterprise Content Management kombiniert. Allerdings geht es dabei nicht nur um Technik, sondern für Social Business muss ein neues unternehmenskulturelles Umfeld geschaffen werden. Die Nutzung von #SocBiz, dem Hashtag für Social Business auf Twitter, muss durch Policies, Schulungen und vertrauensbildende Maßnahmen begleitet werden. Schließlich kann im Social-Zeitalter nicht mehr alles technisch abgesichert, kontrolliert oder gemanagt werden. Unternehmenskultur und Verantwortungsbewusstsein sind zu vermitteln, um die Medien überhaupt sinnvoll und gewinnbringend einsetzen zu können.

CW: Der hoch dynamischen und eher chaotischen Entwicklung rund um Web-Technologien steht die wachsende Anforderung an Unternehmen gegenüber, auf veränderte Gesetzvorgaben reagieren zu müssen. Ist das nicht ein unlösbarer Widerspruch?

Kampffmeyer: ECM bietet mit Archivierung, Records Management und anderen Komponenten die notwendige Infrastruktur, um alle heutigen und zukünftigen Governance- und Compliance-Anforderungen zu befriedigen. Gerade Web und neue Medien stellen Herausforderungen für das kontrollierte und gesteuerte Informationsmanagement dar. Vielfach wird Compliance mit der Erfüllung rechtlicher Anforderungen als einer der Gründe gesehen, warum ECM überhaupt notwendig bleibt. Nationale Vorschriften spielen dabei natürlich den deutschen ECM-Anbietern in die Hände, denn die Vielfalt an internationalen, regionalen, nationalen und branchenspezifischen Vorgaben lässt sich kaum in einem Standardprodukt abbilden. Für Deutschland zu nennen wären ECM-Lösungen für die steuerrechtlichen Vorschriften wie die GDPdU, die qualifizierte elektronische Signatur (mit Nachsignieren), zur De-Mail-Integration, für die elektronische Gesundsheitskarte und E-Health, für die EID und den neuen Personalausweis etc. Allerdings handelt es sich dabei dann auch vielfach um Sonderlocken die nur in Deutschland Bedeutung und vielleicht Markt haben.

CW: Compliance ist demnach eine Chance für die ECM-Anbieter?

Kampffmeyer: Das ist richtig. Es handelt sich um die strategischen Themen Ordnung schaffen, Nachweisfähig sein, Kontrolle und Steuerung behalten, Risiken minimieren, Informationen effizient erschließen, Wissen bewahren. Compliance-orientierte Softwarelösungen, bei denen es um Dokumentation, Nachvollziehbarkeit, Archivierung und ähnliche Aufgaben geht, werden dauerhaft gebraucht. Die Erfüllung rechtlicher Vorgaben war und ist eine der wichtigsten Triebkräfte für den Einsatz von ECM-Technologien – man kann fast schon sagen, die Haupttriebfeder. Zumal man hier offenbar nicht nach der Wirtschaftlichkeit fragen muss, wenn etwas gesetzlich gefordert ist. Dass dies so bleibt, darauf können sich die Anbieter aber nicht verlassen.
Archivierung und Records Management sind durch neue Konzepte in Frage gestellt worden. Records Management mit aufwendigen Metadaten steht im Wettbewerb zu Enterprise Search, wo die Idee ist, alle Informationen – angeblich ohne Aufwand – auf Knopfdruck zu finden. Archivierung mit speziellen Systemen wird in Frage gestellt durch Speichersubsysteme, die einfach unter die führenden Anwendungen montiert werden. ECM hat alle notwendige Funktionalität um Compliance allumfassend abzudecken, aber es gelingt offenbar nicht sich hier richtig zu positionieren.

CW: Und was kommt nach ECM?

Kampffmeyer: Begrifflich vielleicht Social Business, vielleicht EIM Enterprise Information Management, vielleicht auch wieder Knowledge Management. Ungeachtet der Begriffe geht es aber vorrangig um die Bedeutung und den Stellenwert der ECM zu Grunde liegenden Vision – alle Information unabhängig von Erzeuger, Ort, Zeit, Format und Device strukturiert, aktuell, vollständig, authentisch, nutzbar und im Kontext verfügbar zu machen – diese Vision besteht weiterhin. Wir erleben den Wandel von einer ehemaligen Welt der Papierorganisation und der Bücher hin zu einer global vernetzten, virtuellen, elektronischen Welt. In diesem Wandel steckt unsere Generation mittendrin, sozusagen in der hybriden Übergangsära, in der alle Formen der Medien vorhanden und in Benutzung sind. Medienbruchfreie Kommunikation, Bewahrung elektronischen Wissens, freier Zugang zu Information, keine Manipulation von Benutzern und Daten, demographischer Wandel und viele andere aktuelle Themen der Kommunikation und der Informationsnutzung erfordern eine effiziente Verwaltungskomponente – und die verbirgt sich nun einmal heute noch hinter dem Akronym ECM.

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

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