50 Jahre BIT

29. Januar 2016 17:30 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Seit 50 Jahren gibt es die BIT. Das Magazin, das den Markt für Dokumenten-Technologien begleitet hat. Von Anfang an. Aus der Papierwelt der Büros in die digitale Welt des "paperless Office".

Das Titelbild würdigt ein anderes verdientes Jubiläum, aber als kleines Dreieck in der rechten unteren Ecke darf sich das BIT-Jubliäum nun wahrlich nicht verstecken. Zum Start der Jubiläums-Artikel gab es ein schönen bebilderten Überblicksartikel zur Entwicklung des Büros, wie es sich in der BIT wiederspiegelte. Jacques Ziegler, der ehemalige Chefredakteur und Vorgänger von Thorsten Wiegand, hat seine Eindrücke in dem Artikel "Ein persönlicher Rückblick" und den Ausblick auf die Zukunft in "Neuvermessung der Wirtschaft" beschrieben. 

Zum Jubiläum wurde ich um ein kurzes Statement und einen Artikel zur Entwicklung der Themen DMS/ECM/EIM in Deutschland gebeten. Gern geschehen!

 

Jubiläumsgruss

"Von Anfang an dabei – 50 Jahre BIT. In diesen 50 Jahren hat sich durch das Aufkommen der Informations- und Kommunikationstechnologie ein tiefgreifender Wandel in Technik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft – in unserem Leben – vollzogen. Eine echte Revolution in nur zwei Generationen und das Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Die BIT hat es verstanden, diesen Wandel mitzugehen, immer wieder neue Themen zu adressieren, und so ihre Stellung als das Fachmedium für Technologien und Verfahren rund ums digitale Dokument auszubauen. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für den nächsten „Fuffziger“.
Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer, PROJECT CONSULT Unternehmensberatung, Hamburg" 

[BIT Sonderausgabe 1-2016, Seite 28]

 

Artikel "ECM am Scheideweg"

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Rückblick und Ausblick

Er gehört zu den ganz wenigen Experten, die es verstehen, auch ein Nicht-Fachpublikum zu faszinieren. Er liebt es, Markt-Entwicklungen vorauszusagen, versteht sich selbst als Mahner und Wegbereiter. Als unermüdlicher Berater, Publizist, Referent, Autor und leidenschaftlicher Diskursteilnehmer war er bis heute in zahlreichen BIT-Ausgaben präsent. Was lag also näher als Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der Project ConsultPROJECT CONSULT Unternehmensberatung anlässlich des 50-jährigen BIT-Jubiläums um einen Rück- und Ausblick auf eine Branche zu bitten, die sich seit über 25 Jahren mit elektronischem Dokumenten-Management beschäftigt und heute zum wiederholten Mal einen Paradigmenwechsel bewältigen muss. Ein epochaler Einschnitt, der sowohl die Software-Anbieter, wie auch die Anwenderunternehmen betrifft.

Mein erster Beitrag für die BIT erschien wohl 1988 im Vorfeld des Kongresses „EDV & Dokumente“, den ich damals mitorganisierte. Heute ist die BIT fünf Jahrzehnte alt. Das bedeutet ein halbes Jahrhundert fachlicher Begleiter, vom papierbasierten Büro über die Mikrofilm-Ära hin zum elektronischen Dokumenten-Management bis zum Digital Business unserer Zeit. Als ich gebeten wurde, etwas zu den „Entwicklungsstationen des DMS über ECM, DRT, Enterprise Change Management, Information-Management“ beizutragen konnte ich einfach nicht „Nein“ sagen. Danke für die Einladung.

ECM am Scheideweg

Ende der 80er Jahre hatte der Wandel zum elektronischen Dokument begonnen, mit originär elektronischen Dokumenten per Textverarbeitung und dem Scannen von analogen Dokumenten. Damals noch mit spezieller Hardware und speziellen Clienten, da in der Daten-orientierten Welt der Hostsysteme nur sehr schwierig mit Bilddokumenten und anderen schwachstrukturierten Informationsobjekten umgegangen werden konnte.

Während international die Begriffe „Imaging“ im Umfeld des Scannens und „Optical Filing“ für das Speichern auf digital-optischen Speichermedien in Mode kamen, war es in Deutschland die „elektronische Archivierung“. Die rechtliche Anerkennung elektronischer Dokumente und die Speicherung in elektronischen Systemen war Ende der 80er Jahre in Deutschland noch sehr unsicher. Dies war auch einer der Anlässe, die 1991 zur Gründung des VOI Verband Optische Informationssysteme e.V. führte. Die Initiative zur Anerkennung der revisionssicheren Archivierung – revisionssicher steht für rückblickend in Bezug auf die Ordnungsmäßigkeit überprüfbar – war erfolgreich und mündete z. B. die GOBS, die die Grundsätze für die elektronische Aufbewahrung handelsrechtlich relevanter Dokumente in elektronischer Form schuf.

DMS tritt Siegeszug an

Parallel kam in den 90er Jahren der Begriff Dokumenten-Management auf, der in Deutschland anders als international als Obermenge sehr unterschiedlicher Technologien betrachtet wurde: Workflow, Scannen, Archivieren, Dokumentenmanagement im engeren Sinn, COLD, Imaging usw. Hierfür bürgerte sich sehr schnell die Abkürzung DMS Dokumenten-Management-System ein. In den USA war dagegen das elektronische Dokumenten-Management im engeren Sinn die datenbankgestützte Verwaltung von Office-Dateien. Solche begrifflichen Divergenzen sollten das Thema noch mehrfach überschatten.

Aber DMS wurde in Deutschland schnell zum Leitmotto, da es die Bezeichnung der wichtigsten Branchenveranstaltung wurde. 1995 fand in Stuttgart die erste offizielle DMS mit Vortragsserie und Ausstellung statt. Der VOI war von Anfang an mit als fachlicher Träger dabei. Die DMS als Messe erlebte wie die Branche einen ungeahnten Aufschwung. Das Internet setzte neue Akzente und veränderte das Thema Dokumentenmanagement dramatisch. Web-Formate, die Bereitstellung von Informationen über Web-Clienten und neue Nutzungsmodelle rückten DMS „auf die Pelle“. Die traditionellen Techniken rund ums Dokument, DRT Document Related Technologies, begannen sich als Infrastruktur abzugrenzen.

Den Begriff Dokumenten-Technologien führte auch die BIT eine lange Zeit als Untertitel. Doch Dokumente allein verschwanden aus dem Fokus. In den 90er Jahren hatte sich eine Vielzahl und Vielfalt von mittelständischen und kleineren Anbietern in Deutschland entwickelt – ein breiter, bunter Markt, den es in dieser Form in Europa nirgendwo anders gab. Besonders als sich auch deutsche Unternehmen befeuert durch die Millionen auf den Weg zu neuen Horizonten machten.

Innovativer Schwung geht verloren

Nur leider passten die Strategien und die Produktansätze nicht in die neue Welt, die vom Web zunehmend bestimmt wurde. Für die Branche waren aber die End-90er eine goldene Zeit, wie sich auch mit der nie wieder erreichten Größe und Reichweite der DMS-Messen 1998 bis 2001 in Essen zeigte. Um 2000 kamen als DMS ergänzende Themen Wissensmanagement, das aber mit den damals verfügbaren technischen Mitteln nicht adäquat bedient werden konnte, und Business-Process-Management (BPM) auf. Beide konnten die zeitweilige Krise von DMS in Deutschland nicht aufhalten. Mit dem Niedergang des Neuen Marktes und seiner Protagonisten aus der DMS-Branche ging Anfang der 2000er Jahre eine Ära zu Ende. Zwar befeuerten die Vorgaben der GDPdU nach 2001 nochmals die Themen Archivierung und Compliance, aber so richtig innovativ ging es in der Branche nicht weiter. Alte Client-Server-Paradigmen wurden zwar Web-tauglich gemacht, aber die Trends dominierten andere ITK-Themen.

Etappensieg für ECM

Anfang 2000 war in den USA ein neuer Begriff aufgekommen, der dem Thema zu neuem Glanz verhelfen sollte: ECM Enterprise Content Management. Man verband damit die Hoffnung, dass ECM genauso prominent und wichtig wie andere Akronyme wird: ERP, CRM, CMS, PLM usw. Diese neue Vision sollte die bisherigen Felder von Dokumenten-Management und Business-Process-Management mit den aktuellen Trends des Content-Managements und des Web zusammenführen. In Deutschland lebte aber der Begriff DMS weiter.

Die Leitmesse, nunmehr DMS Expo, genannt war aber bereits seit 2002 in einem rückläufigen Trend gefangen, der auch durch die Umzüge nach Köln und später nach Stuttgart, nicht aufgefangen werden konnte. Ähnlich wie ECM international wurde auch DMS immer weiter inhaltlich ausgedehnt, ohne sich jedoch als strategisch wichtiges Thema positionieren zu können. Ab 2007 beginnt dann auch in Deutschland Enterprise-Content-Management (ECM) das Thema DMS und Dokumenten-Technologien bei den Anbietern in den Hintergrund zu drängen – auch wenn die meisten deutschen Anwender selbst heute noch mehr mit dem Begriff Dokumenten-Management als mit den vielfachen Akronymen anfangen können.

Die mittelständischen Anbieter in Deutschland sind mit soliden, maturen Produkten unterwegs und bauen auch ihre internationalen Aktivitäten aus. Aber wie schon in den 90er Jahren wird die Trends aus den USA dominiert und immer mehr Anbieter aus den USA sind auch in Deutschland unterwegs. Ende des Jahrzehnts steht die Branche immerhin recht gut da und es haben sich eine Reihe führender deutscher Mittelständler herauskristallisiert.

Schöne neue Welt

Aber die nächste Welle der Veränderung ist bereits da: der SMAC-Stack mit Social, Mobile, Analytics und Cloud. Besonders groß ist zunächst der Einfluss von Web 2.0 mit Funktionen aus dem Social-Media-Umfeld, der aber zu Beginn des 2ten Jahrzehnts sehr schnell durch das Smartphone und die Cloud in der Bedeutung für das Thema ECM überrundet wird. Wieder machen sich die Anbieter von ECM-Lösungen auf den Weg und adaptieren diese neuen Funktionen und Technologien. Parallel hat sich bereits eine andere Entwicklung auf den Weggemacht, die die engen Grenzen des Begriffes „Content“ hinter sich lassen will –Enterprise-Information-Management (EIM). Hier sind die Grenze zwischen strukturierten Daten, schwachstrukturiertem Content und unstrukturierten Dokumenten aufgehoben. Es gilt alle Arten von Informationen übergreifend zu erschließen, zu verwalten und zu nutzen. Diese neuen Entwicklungen fallen auch in eine Periode der Neuorientierung der Branche.

Der Spaltpilz geht um

Der Traditionsverband VOI, nunmehr Verband für Organisations- und Informationssysteme oder auch Voice of Information, spaltet sich auf. Eine Mehrzahl von Mitgliedern bildet im BITKOM eine eigene ECM-Gruppe, der Rest-VOI setzt auf das Thema EIM Enterprise Information Management. Das Schisma der Verbände schadet aber der Branche, weil es nunmehr kein einheitliches Bild mehr am Markt gibt. Und viele Anbieter wollen  sich auch nicht mehr in das Korsett von DMS oder ECM zwingen lassen. Letztlich besiegelt wird die Ära im Jahr 2015, wo auch die DMS Expo als eigenständige Messe- und Kongressveranstaltung in einem größeren Messekonzept der IT & Business in Stuttgart aufgeht.

Man könnte noch viel über die Vergangenheit der Branche schreiben Es macht aber keinen Sinn, nur zurückzublicken: Der Blick zurück verstellt die Sicht auf die Zukunft.  Zum 50jährigen Jubiläum der BIT gilt es also für die Anbieter von Lösungen aus dem DMS-/ECM-EIM-Umfeld sich einmal wieder mehr neu zu erfinden und neu zu positionieren. Die nach dem SMAC-Stack kommenden Themen wie Industrie 4.0, Internet der Dinge, Wissensmanagements und künstliche Intelligenz, Allgegenwärtigkeit der Information, Digitalisierung und Automatisierung usw. neu aufzugreifen und sich zu positionieren. Neue Begriffe werden kommen und gehen.

Mitten im Paradigmenwechsel

Angesichts der immer schnelleren, parallelen, sich überschneidenden und sich gegenseitig beeinflussenden Entwicklungen in einer vernetzten globalen Welt der Kommunikation und Informationsverarbeitung ist der Blick nach vorn unerlässlich.

Als „Print & Web“-Publikation muss sich auch die BIT diesen Themen stellen, ebenso wie Anwenderorganisationen und Anbieter von Lösungen. In einer Zeit, wo wir von der Verfügbarkeit und der Richtigkeit von elektronischer Information zu 100 Prozent abhängig sind, muss Informationsmanagement als essentielle, übergreifende Disziplin für die Verwaltung, Erschließung und Nutzung von Information positioniert werden.

Die traditionellen Anbieter sehen sich hier zunehmend innovativen, mit Venture-Capital ausgestatteten „Newcomern“ gegenüber, die mit ganz anderen Methoden und Ansätzen an die Verwaltung von Information herangehen. Längst haben alle Anbieter von Standardsoftware viel von der Funktionalität von ECM aufgesaugt und selbst in ihre Produkte als Komponenten eingebaut. Die Menge und Vielfalt der Information steht viele der bisherigen Verwaltungs- und Nutzungsmodelle in Frage.

Cloud- und Mobil-Lösungen sind längst nicht mehr Zukunft sondern State-of-the-Art. Ähnlich wie mit dem Aufkommen des Web und dem SMAC-Stack erleben wir in kürzester Zeit erneut einen Paradigmenwechsel für die Technologien rund ums Dokument. Letzteres beginnt sich aufzulösen, wird zu volatilen Daten in Layouts und Apps. Diesen Wandel gilt es mit agilen Softwarelösungen zu unterstützen. Denn nur als notwendige Infrastruktur wird das Thema DMS/ECM/EIM nicht überleben können. Ein neuer Anlauf ist angesagt!

[BIT Jubliäumsausgabe 1-2016, Seite 40ff]

 

 

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

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