Trends für Enterprise Content Management im Herbst 2011

21. September 2011 13:50 Uhr  |  PC_admin  |  Permalink


Langsam hat man sich an den Begriff ECM Enterprise Content Management auch im deutschsprachigen Raum gewöhnt. Zwar können sich viele Anwender immer noch sehr wenig unter Akronym und Begriff konkret vorstellen, aber zumindest hat Microsoft mit seinem Sharepoint das Thema populärer gemacht.

Allerdings hat Microsoft den Begriff auch auf eigene Weise besetzt und damit auch für falsche Erwartungen im Markt gesorgt. Nimmt man dann noch die aktuellen Entwicklungen bei der Telekommunikation – Apps, Tablets und Smartphones –, der Speicherung von Inhalten im Web – SaaS und Cloud – und die Veränderung des Nutzungsverhaltens von Information – Googlerisation, Social Media und allgegenwärtige Verfügbarkeit – hinzu, dann erscheint das Thema ECM fast schon «hausbacken» und «altertümlich».

Wofür steht ECM?

Diese Frage stellt sich jedes Jahr erneut. Akronym und Begriff sind schon mehr als 10 Jahre alt. Der Umfang von ECM ist in vielen Büchern und Artikeln beschrieben. All dies macht ECM vielen Marketiers der Branche inzwischen unattraktiv. Analysten, Verbände und grosse Anbieter suchen längst nach vermeintlich moderneren Bezeichnungen für die Funktionalität des Informationsmanagements im Unternehmen. Auch hierunter leiden die Visibilität der Branche und die Identifizierbarkeit bestimmter Produkte für den Endanwender. Die Kluft zwischen Anbieter, Produkt und Fachsprache auf der einen Seite und dem Anwender auf der anderen Seite scheint nicht schmaler geworden zu sein. Besinnt man sich auf Begriffe wie Dokumentenmanagement, Archivierung, Posteingang oder elektronische Akte, zeigt sich jedoch, dass Lösungen längst weitverbreitet sind. Auch deshalb versuchen die Anbieter mit immer neuen Begriffen und Produktansätzen Zusätzliches in den Markt hinein zu verkaufen. Böse Zungen sprechen bei ECM inzwischen auch von Enterprise Chaos Management, Enterprise Catastrophy Management oder Enterprise Chicken Management – selbst nach diesen Interpretationen zu suchen, möchte ich den Lesern nicht vorenthalten (schöne Entdeckungen garantiert). Für die meisten gilt aber immer noch der Umfang von ECM Enterprise Content Management, wie er in der deutschen und der englischen Wikipedia wiedergegeben ist – basierend auf dem Buch des Autors aus dem Jahr 2006 (www.project-consult.net/files/ECM_White%20Paper_kff_2006.pdf): Capture als Input Management; Manage mit Document Management, Records Management, Business Process Management, Collaboration, Web Content Management; Deliver als Output Management und zur Bereitstellung; Store zur Speicherung und Erschliessung sowie Preserve zur Langzeitarchivierung. An diesem Kanon haben sich auch jahrelang Hersteller wie Analysten orientiert. Jedoch verändert sich der Markt und stellt damit auch die Definition von ECM immer wieder infrage.

Konsolidierung im Markt

Die Konsolidierung des ECM-Marktes schreitet voran, im Grossen wie im Kleinen. Die Übernahme von ALOS durch den französischen Anbieter Spigraph hat hier nur geringe, regionale Auswirkungen, die Übernahme von Autonomy durch HP dagegen internationale Verwerfungen zur Folge. HP hatte sich bereits Tower und andere Anbieter einverleibt und bekommt nun mit Autonomy noch das Produktportfolio von Interwoven und Iron Mountain Digital hinzu. Ausser OpenText sind damit in der nach Gartner führenden Riege fast nur noch IT-Generalisten vertreten – Microsoft, IBM, EMC, Oracle und zukünftig HP. Nur noch OpenText ist als ECM-Software-Spezialist unterwegs. Auch CISCO hat sich in den Markt für Kollaborationslösungen durch Kooperationen mit EMC und Aufkäufe vorgewagt. Diese grundsätzliche Veränderung der Marktsituation hat bereits in den letzten Jahren den Druck auf die mittelständischen, regionalen Anbieter erhöht. Diese haben sich durch Spezialisierung auf bestimmte Lösungsangebote und durch Integration in andere Software-Systeme eine Nische gesichert. Lokale und regionale Compliance-Anforderungen helfen hier den Anbietern. Und weitverbreitete Standardsoftware für die Zusammenarbeit und die Nutzung von Dokumenten fördert ebenfalls den Bekanntheitsgrad.

Sharepoint ist nicht ECM

Auch wenn Microsofts Marketing-Truppen dies immer wieder herausstellen – Sharepoint ist nicht gleich ECM. Da ECM eine Strategie, eine Vision, eine Sammlung von Methoden und Management-Ansätzen für Information ist, kann es im Prinzip überhaupt keine ECM-Produkte geben. Der Ansatz von Sharepoint zielt auch auf etwas ganz anderes als ECM. Sharepoint ist eine Integrations-, Collaborations- und Portal-Plattform. ECM-Themen werden mit Dokumenten- und Records-Management zwar angesprochen, aber nicht im Sinne einer durchgängigen ECM-Strategie umgesetzt. Aus diesem Grund verdienen auch sehr viele der traditionellen Anbieter ihr Geld damit, Sharepoint zu «veredeln», d. h. um notwendige Komponenten für ECM zu ergänzen. Im  Vordergrund stehen hier Information Capture, Archivierung, Output Management, Konvertierung und Business Process Management. Was allerdings  Sharepoint bietet ist eine Basisfunktionalität für das Management von Dokumenten, die für viele Anwender besonders im mittelständischen Bereich durchaus ausreichend sein kann. Microsoft orientiert sich hier wie immer an den Anforderungen von Millionen Anwendern und nicht an den speziellen, selten im vollen Umfang genutzten Funktionen für wenige grosse Organisationen.

ECM in den Wolken

Mit Sharepoint wurde bisher auch das klassische Implementierungsszenario für ECM adressiert: Inhouse-Lösungen. Hierbei wurde im Unternehmen für ein Unternehmen die entsprechende Verwaltungsplattform für Daten, Content und Dokumente betrieben. Wie Enterprise Content Management als Begriff schon ausdrückt – eine Lösung im und für das Unternehmen. Neben den typischen Inhouse-Lösungen gab es schon immer Out-Sourcing und Application Service Providing, vielfach von spezialisierten IT Töchtern grosser Konzerne. Den eigentlichen Paradigmenwechsel erleben wir erst jetzt mit Cloud und SaaS = Software as a Service. Natürlich lassen sich Cloud-Architekturen auch im Unternehmen als geschlossene, «private» Lösung installieren. Der Vorteil aber der öffentlichen Cloud ist der, dass man zu definierten Kosten und an jedem Ort der Welt jederzeit auf alle Informationen zugreifen kann. Die Rechenzentren der Anbieter sind so ausgelegt, dass sie als verteilte Systeme jederzeit die Informationen verfügbar halten. Die Anwender müssen sich nicht selbst um aufwändige Hardware, Software Updates, Migration und Sicherung der Informationen kümmern. In den Bereichen Archivierung und Collaboration ist SaaS inzwischen stark auf dem Vormarsch. Es fehlt allerdings noch an Lösungen, die Inhouse-Systeme mit den Systemen in der Cloud kombinieren. Dies betrifft besonders bei ECM der Bereich von durchgängigen Prozessen, also Workflow und Business Process Management. Cloud-Lösungen funktionieren immer dann gut, wenn man alles in der Cloud-Umgebung hat. Aber auch hier setzen erste Produkte an, die die Replikationen von Informationen über verschiedene Plattformen ermöglichen.

Mobile verändert die ECM-Welt

Markttreiber ist hier die mobile Kommunikation, die mit Smartphones und Tablets einen Paradigmenwechsel eingeläutet hat. Hierbei sind verschiedene Auswirkungen zu beobachten. Greift man das Thema Cloud auf, so ist hier die Aufgabe, Informationen auf Smartphones und Tablets zu erfassen, zu bearbeiten und bereitzustellen. Das lesende Bereitstellen ist dabei die einfachste Disziplin. E-Mail empfangen, Dokumente ansehen und browsen, nach Information suchen – all dies geht mit mobilen ECM-Lösungen. Auch für das Erfassen mittels Kameras gibt es inzwischen gute Lösungen. «Lediglich» die Bearbeitung mit «virtuellen Bildschirmtastaturen» und Sprachsteuerung ist für professionelles ECM, das mit Prozessen, elektronischen Akten und Dokumenten umgehen muss, unzureichend. Aus der mobilen Revolution kommt auch noch ein zweites Desiderat: Mobile Devices haben nicht ausreichend Speicher, um alle Informationen eines Unternehmens vorzuhalten und neu erfasste Informationen sicher aufzubewahren. Hier kommen Systeme wie iCloud, DropBox und andere ins Spiel. Diese Systeme sind aber keine professionellen ECM-Lösungen oder gar Records-Management- oder Archivsysteme. Sie nehmen Informationen entgegen, replizieren und synchronisieren diese und stellen sie wieder verschiedenen Anwendergruppen bereit. Mobile treibt hier Cloud- und SaaS-Anwendungen. Die wichtigste Revolution, der eigentliche Paradigmenwechsel ist jedoch der stark veränderte Umgang mit Informationen. Dies beginnt bei Applet-Oberflächen und Bedienungsfunktionalität und endet bei Erwartungen und Nutzungsmodellen wie Information zukünftig recherchiert, bereitgestellt und genutzt werden soll. Hier wirken ECM-Lösungen, selbst Browser-Lösungen, inzwischen veraltet. Traditionelle ECM-Produkte können vielfach die Erwartungen an moderne Software nicht erfüllen, auch wenn sie sehr gut genau das tun, wofür sie designt wurden.

Übergreifende Suche

ECM Enterprise Content Management hat besonders die Aufgabe, Information kontrolliert, gesteuert, sicher und nachvollziehbar zu verwalten. Die zeigt sich besonders bei Archivierung, Records Management und Vorgangsbearbeitung. Dies sind traditionelle Schwerpunkte von ECM. Collaboration hat sich hier unter dem Einfluss von Web 2.0 und Social Media bereits in eine andere Richtung entwickelt. Die Nutzung von Metadaten zur Verwaltung, Erschliessung und Kontrolle von Informationen und deren Nutzung wird bei Collaboration, Social Business und Apps infrage gestellt. Kein Anwender will (oder kann) hier noch in grossem Umfang Metadaten eingeben oder einzelne Daten und Dokumente Ordnungsmitteln zuordnen. Stattdessen wird Enterprise Search als neues Allheilmittel beschworen. Warum aufwändig Metadaten und elektronische Akten pflegen, wenn «Google» doch alles sofort findet. Dem Ansatz übergreifender Suche über alle Datenbestände werden dann auch schon einmal die mühsam eingerichteten Berechtigungsstrukturen geopfert. Enterprise Search ist in den letzten Jahren auch immer besser geworden, besonders durch den Einsatz von Klassifikationsmechanismen, die auch so etwas wie eine «Ordnung» in inhomogene Informationssammlungen bringen. Unter Compliance-Gesichtspunkten hält sich aber noch die alte Vorgehensweise des Records Managements und der Archivierung. Das Ziel ist hier Richtigkeit, Authentizität, Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit, Kontext und andere Kriterien des Information Managements zu sichern. Doch auch an dieser Bastion wird gerüttelt.

Automatisierung

Manuelle Tätigkeiten waren schon immer aufwändig und fehlerträchtig. Die Nutzererwartungen setzen daher auf immer mehr automatisierte Verfahren. Automatische Übersetzungen von Geschäftsbedingungen, automatisches Erkennen von Sachzusammenhängen, automatisches Zuordnen aufgrund von Inhalten, automatisches Vorschlagen von Antwortbausteinen, automatisches Indizieren von Dokumenten, automatisches Wandeln von Bildern und Scans, automatisches Vorschlagen möglicherweise zugehöriger Vorgänge oder Personen usw., usw. Mit der App-Revolution hat auch das Thema Automatisierung aufgrund der technisch begrenzten Möglichkeiten mobiler Geräte an Fahrt aufgenommen. Dies beginnt bei der Übersetzung von Strassenschildern und Speisekarten, dem Erkennen von Musiktiteln, der Zuleitung von Informationen zu Fotos usw. – alles noch im Consumer-Bereich – und setzt sich zunehmend in die professionellen Anwendungen fort: Qualitätschecks bei Geräten und Transportmitteln mit automatischer Dokumentation der Ergebnisse, Kontext-gesteuerte Anwendungen mit Dokumentation von Aktivitäten usw. Die Welle der Innovationen im Consumer-Bereich wird auch in die Unternehmen überschwappen, besonders, da die Anwender den gleichen Komfort auch in ihrer Arbeitsumgebung erwarten: Geschwindigkeit, Funktionsweise, automatische Updates, Benachrichtigungen – das volle Programm des «Always-Online».

Was ist aus den ECM-Trends der letzten Jahre geworden?

Betrachtet man die bisher aufgeführten Entwicklungen, so zeigt sich, dass sie nicht speziell und nur für ECM geltend sind. ECM ist Infrastruktur im Mainstream der Informations- und Kommunikationstechnologie geworden. So sind auch viele Fragen, die in der Vergangenheit zu Diskussionen geführt haben, heute fast schon in Vergessenheit geraten. Middleware und SOA, Service-orientierte Architektur, heute fast eine Selbstverständlichkeit für ECM-Komponenten. Insellösungen sind «Out». Integration in führende Anwendungen – das wichtigste Anwendungsgebiet für ECM ist heute die Integration in ERP, Sharepoint, CRM, E-Mail usw. Nur noch die elektronische Akte und der Posteingangskorb sind vielleicht noch für den Anwender sichtbar. Digitale optische Speicher und dedizierte WORM-Systeme für die Archivierung: längst überholt durch virtuelle Speichersysteme mit speziell geschützten Bereichen, die «WORM»-Unverändertheit per Software ermöglichen. Die Cloud treibt hier die Virtualisierung und damit neuartige Archivkonzepte noch voran. Standards bei Formaten, bei Systemen … all dies scheint überholt. Der Markt generiert neue Standards, ohne sich um das Thema ECM ernsthaft zu kümmern. Mit Mühe halten sich ECM-eigene Standards wie PDF/A bei den Archivformaten oder CMIS (Content Management Integration Services) bei den Schnittstellen. Die ECMUSPs Unique Selling Points gehen Stück für Stück verloren. Die Branche verliert ihr Gesicht und ihre Eigenständigkeit.

Wo geht es lang?

Dies zeigte sich auch jüngst bei den Versuchen der Neuorientierung der ECMBranchenverbände. In Deutschland wollte sich der VOI gleich in den IT-Gesamtverband BITKOM integrieren. Die aus dem Scheitern folgenden Verwerfungen zeigen die Zerrissenheit der Branche. In den USA versucht der internationale Dachverband AIIM international, von dem die Definition zu ECM stammt, sich neu zu orientieren. Aktuell versucht man das Schlagwort Social Business (auch Social Content Management macht die Runde) mit Leben zu erfüllen. All dies zeigt, dass die Eigenständigkeit der ehemaligen DMS-, dann ECM-Branche verloren geht. Die Bereitstellung beliebiger Informationen in beliebigen Formaten auf beliebigen Geräten auf beliebigen Plattformen in beliebigen Prozessen und zu beliebigen Zeitpunkten wird zur Selbstverständlichkeit. Man «sieht» ECM eigentlich immer nur dann, wenn es nicht klappt oder die Unzulänglichkeiten von Schnittstellen und Integration zutage treten. ECM wird zu einer Reihe von Diensten, Bausteinen, Komponenten, Elementen – wie auch immer – die andere Systeme, mit denen man ständig arbeitet, um die Funktionalität von ECM ergänzen. Damit hat ECM Enterprise Content Management auch die ursprüngliche Vision aus den End-90er-Jahren erfüllt: die Brücke zu schlagen zwischen strukturierten und unstrukturierten Inhalten, alle Inhalte ungeachtet ihres Formats allen Anwendungen bereitzustellen und eine universelle Aufbewahrungsinfrastruktur für alle Typen von Informationen übergreifend bereitzustellen. Wenn sich dann die Branche zu neuen Akronymen und Begriffen orientiert, kann man dann das Akronym ECM auch für etwas anderes Wichtiges verwenden: Enterprise Change Management.

Die organisatorische Herausforderung bleibt

Information muss gerade angesichts der Informationsflut besser erschlossen und verwaltet werden, «gemanagt» werden. Information hat nur dann einen inhärenten Wert, wenn sie in Prozessen und als Wissen bereitgestellt wird. Wir neigen dazu angesichts der neuen schönen Informationswelt mit Mobiles, Cloud und Social, sehr nachlässig mit Information umzugehen. So gesehen steigt die Wichtigkeit von ECM sogar ständig, jedoch die Wahrnehmung für das Thema lässt in Entscheiderkreisen nach. Die Erkenntnis, dass das Management von Information Aufwand und Kosten generiert, ist unbequem. Man neigt dazu den euphorischen Aussagen der Technologie-Evangelisten mehr Glauben zu schenken, dass alles immer einfacher, immer integrierter, immer schneller, immer schöner wird. Information Management im Sinne von Management macht Arbeit, sorgt aber durch verbesserte Qualität der Information, Einhaltung von Compliance-Vorgaben, gezielte Informationserschliessung und bessere Nutzbarkeit für nachhaltige Verbesserungen im Unternehmen. Die sogenannte Agilität kann nur mit verlässlichen Informationen erreicht werden und die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit und Richtigkeit von Information macht kontrolliertes Enterprise Information Management unumgänglich. Hier wird auch ECM Enterprise Content Management als wesentliche Komponente seine zukünftige Bestimmung finden.

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