Information Management: die Diskussion um die Branche – Stand Juni 2017

Information Management: die Diskussion um die Branche –
Stand Juni 2017

Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung, Hamburg,

Warum nur noch von Information Management sprechen? Wir leben doch in einer Welt von bekannten Branchenbegriffen wie DMS, ECM, BPM, DAM, CMS, EIM usw. Was verändert sich, wenn man einen neuen Oberbegriff etabliert?

Akronyme dominieren die Fachterminologie der ITler. Begriffe wie ECM Enterprise Content Management, Collaboration, BPM Business Process Management stoßen vielfach auf Unverständnis – zumindest bei den nicht unbedingt Technik-affinen Entscheidern in Deutschland. Zur Akronymologie kommt hier die die sprachliche Verzerrung. Abkürzungen und Begriffe aus dem Englischsprachigen werden häufig anders interpretiert, als ursprünglich definiert. So erklärt es sich auch, dass nach 17jähriger Missionarstätigkeit für ECM Enterprise Content Management in Deutschland bei vielen noch unbekannt ist. Noch immer sind Begriffe wie Dokumentenmanagement, elektronische Akte und revisionssichere Archivierung geläufiger. Und die Flut der Akronyme versiegt nicht.

Aber um den Begriff ECM Enterprise Content Management aufzugreifen, der eine Branche, Strategien und Methodik zur Informationsverwaltung und den Umfang von Funktionalität von Softwareprodukten beschreiben soll; dieser Begriff ist in seinem Ursprungsland in den vergangenen Jahren unter Druck geraten. Nach neuen Botschaften wird gesucht. Die Marketiers brillieren mit neuen Kürzeln, die Veränderung, Weiterentwicklung, etwas Neues signalisieren sollen: nextECM, ECMnext, next gen ECM, cloudECM, agileECM, postECM usw. usw.

Zum Einen liegt dies daran, dass sich Technologien und Nutzungsmodelle weiterentwickelt haben, zum Anderen aber auch daran, dass sich ECM nicht mit der gleichen Bedeutung wie ERP oder CRM als feststehender Begriff durchgesetzt hat. Immerhin war ECM fast 18 Jahre lang in seiner Bedeutung stabil. Als Anwender konnte man ein bestimmtes Leistungsportfolio erwarten, als Anbieter wusste man, wo man hingehört. Dies ist heute nicht mehr der Fall.

Immer weniger Anbieter wollen sich in das zu enge Korsett des Begriffes einpressen lassen.

Ein Problem liegt auch darin, dass der Begriff „Content“ in der Definition des Branchenverbandes AIIM international mit unstrukturierten Inhalten wie Dokumenten gleichgesetzt wird. Dabei war die Verwaltung von strukturierten Daten, z.B. bei der Listenarchivierung, schon immer Bestandteil von ECM. Und das Portfolio von ECM wurde selten voll ausgeschöpft. Erst jetzt beginnt man, BPM als Komponente von ECM zu integrieren, WCM Web Content Management ist weitgehend außen vor geblieben, Collaboration hat sich längst durch Social ausgeweitet, und Deliver bietet mit Omni-Channel-Publishing eine Vielzahl neuer Funktionalität, die längst nicht in den meisten ECM-Lösungen ausgeschöpft ist. Von Records Management in Deutschland ganz zu schweigen – immer noch kaum bekannt. Also warum dann ECM ausweiten, wenn es noch nicht einmal vollständig im Einsatz ist?

Schon seit einigen Jahren gibt es Initiativen, aus ECM, nun erweitert, EIM Enterprise Information Management zu machen. Ein neues Akronym mit neuem Anspruch. Es geht um die Verwaltung und Erschließung aller Informationen. Einerseits kommt neue Funktionalität hinzu, andererseits ergänzt EIM auch ECM im Kern. Aber EIM unterstützt auch die vielfältigen neuen Entwicklungen mit den Prinzipien eines geordneten Information Management, der Information Governance, aller neuen ITK-Entwicklungen, die zum Anschwellen der Informationsflut geführt haben.

Es ist aus verschiedenen Gründen sinnvoll, sich von den ambivalenten Begriffen „Enterprise“ und „Content“ zu lösen. „Enterprise“ kann stehen für „des Unternehmens“, „im Unter­nehmen“, „für das Unternehmen“ oder „unternehmensweit“. Unternehmensweit ECM umzusetzen haben in den vergangenen 17 Jahren die wenigsten Anwenderorganisationen geschafft. Das „Enterprise“ selbst fasert an den Rändern aus. Informationen liegen vielfach außerhalb des Unternehmens in Portalen, Social Media und anderswo. Kunden, Lieferanten und andere Partner werden in die Informationsnutzung in den Unternehmen einbezogen. Der Begriffsbestandteil „Enterprise“ hilft zukünftig als Abgrenzung bestimmter Lösungsangebote nicht mehr weiter. „Cloud“ und „Mobile“ haben diese Grenzen aufgeweicht.

Der ECM-Begriffsbestandteil „Content“ wird vielfach mit Webinhalten assoziiert. Nimmt man dann noch die unpassende Eingrenzung aus der AIIM-Definition hinzu, wird dies den aktuellen Entwicklungen in keiner Weise mehr gerecht. Es gilt, nur noch von „Information“, also auch nur von “Information Management”, zu sprechen.

Hierfür gibt es eine Reihe von Argumenten, die uns “Jenseits von ECM” führen:

  • Eine Abgrenzung von Produktkategorien nach Funktionalität oder Formaten, wie Document Management, Content Management, Asset Management, E-Mail Management, etc. macht keinen Sinn mehr, da heutige Anwendungen alle Typen und Formen von Information verarbeiten können müssen. Die alte Grenze zwischen „CI“ und „NCI“ ist nicht mehr existent.
  • Um die werthaltigen, relevanten Informationen aus der Menge aller Informationen überhaupt herausfiltern zu können, müssen zunächst alle Informationen betrachtet und bewertet werden. Erst danach kann man dann die wichtigen Informationen in ein Records Management, Archiv oder in ein anderes Repository einsortieren.
  • Das herkömmliche Dokument löst sich auf. Besonders durch mobile Endgeräte werden aus Dokumenten heute Daten, die strukturiert in Layouts oder Apps angezeigt werden. Sie „simulieren“ nur noch den Dokument-Charakter.
  • Der Begriff Information ist medienneutral. Der Begriff schließt so auch die Verwaltung von physischen Medien ein, z.B. die Standorte von Aktenordnern. Wir müssen uns nicht mehr nur auf die elektronischen Objekte beschränken.
  • Der Begriff Information schlägt die Brücke zum Wissen und zur Kommunikation. Information ist nur dann nützlich, wenn sie kommuniziert wird. Wissen ist das einzige Gut, dass mehr wird, wenn man es teilt.
  • Informationswissenschaft, Informationswirtschaft, Wirtschaftsinformatik – all dies sind anerkannte Studienfächer. Im Gegensatz dazu ist es kaum möglich einen universitären Studiengang für ECM Enterprise Content Management zu finden. Die Grundlagen des Information Management sind wissenschaftlich und praktisch fundiert.

Information Management ist der einzige Begriff, der als übergreifende Klammer geeignet ist. Der Nachteil des Begriffes Informationsmanagement ist, dass er im Vergleich zu Begriffen wie Dokumentenmanagement oder anderen viel weiter gefasst ist. Darin liegt auch die Herausforderung, die Inhalte und Funktionalität einer Information-Management-Lösung genauer und konkreter zu beschreiben, damit der potentielle Anwender sich etwas Konkretes darunter vorstellen kann. Auch dies wäre ein Fortschritt, weg von der Akronymologie der Funktionalität hin zu mehr Klarheit.

Gartner erklärt ECM für tot

Anfang 2017 hat Michael Woodbridge von Gartner hat den Begriffswandel offiziell gemacht – Gartner ersetzt für ihre Studien und den Quadranten den Begriff ECM Enterprise Content Management durch Content Services. “ECM ist Dead”. Macht dies Sinn?

Wir hatten schon mehrfach über Diskussionen berichtet, was denn nun in Zukunft bei Gartner aus ECM wird. Der Begriff “Content Services” taucht bereits im Bericht zum ECM Magic Quadrant auf (http://bit.ly/ECM-MQ-revisited) und verschiedenen Diskussionen (http://bit.ly/GartnerHC16) auf. In seinem Blogbeitrag (bit.ly/Gartner-ECM) führt Woodbridge eine Reihe von Gründen auf, so z.B.

<Zitat>
… ECM is now dead (kaput, finite, an ex-market name), at least in how Gartner defines the market. It’s been replaced by the term Content Services, a strategic concept that covers three aspects, namely Content Services Applications, Platforms and Components. The following Gartner note: Reinventing ECM: Introducing Content Services Platforms and Applications provides more details so I won’t go into them here. Rather, I did want to summarize how this alternative strategic approach provides organizations with a more practical way to achieve the benefits promised by the original vision of ECM.  The king is dead, long live the king!

What do I mean by this? Well, the overarching business goals many strive to achieve with an ECM strategy are desirable in all organizations. The most common realization of the strategy formerly known as ECM was to provide a centralized enterprise (the E in ECM) wide platform that could meet one or all of the following primary goals associated with the utilization of “content”:

  • Regulatory compliance and risk management
  • Retention and dissemination of business knowledge
  • Cost and process efficiencies
  • Innovation and new ways of working

(Note: Not an exhaustive list but with a pretty wide coverage!)

In reality, however, a single platform to achieve these four goals (the ECM strategy of many organizations) has proven to be almost impossible for most.  Of the four, ECM has been most successful in providing a platform for compliance (goal 1). The other three are where more challenges are encountered. A centralized platform often requires complex integration to deliver information in the context of user activities and therefore knowledge sharing initiatives (goal 2) have met with slow adoption. A purely centralized platform can also be costly and time consuming to provide new innovation (goals 3 and 4).

I personally have come across very few enterprises in my nearly 20 years in the business who have anything less than three (and often more) of such repositories. A number of which have been the aborted result of a full, “horizontal”, ECM roll out.

The Content Services approach overrules the notion of consolidation for its own sake.  It’s strategic, rather than technology oriented and provides an evolved way of thinking about how to solve content related problems. It blends the reality of what is happening now in the digital enterprise and the emerging technology of the near future.

Today’s reality is that organizations are living in a multi repository world. Business buyers want quick wins and actual solutions to business problems now, not platforms that will deliver a compromised solution in 6 months time. This is the role of Content Applications. There are technology platforms emerging and, in limited cases available now, that will enable organizations to gain greater control of these multiple content sources. These types of technology will move beyond a “retrieve and present” approach to an approach where the content is usable and manageable regardless of its source repository. These types of technologies fit into what Gartner defines as Content Services Platforms and Components (Note, this category covers more than just federation technology, more details in the note above).

Using a combination of robust content strategy and federating technology, organizations are better placed to achieve all four of the above stated goals previously associated with ECM. The approach will enable content services to be delivered quickly, cost effectively and to meet emerging business innovations whilst maintaining the appropriate level of governance and compliance. … “
</Zitat>

Die Research note “Reinventing ECM: Introducing Content Services Platforms and Applications” ist leider nur für Gartner-Kunden zugreifbar. Dort gibt es dann mehr zu den drei neuen Klassifikationen “Content Services Applications” (haben wir vorsorglich schon mal als CSA abgekürzt), “Content Services Platforms” und “Content Services Components”.

In einem neuen Blog-Post hat Gartner, diesmal Hanns Köhler-Krüner, versucht die Botschaft “ECM is dead” zu “relativieren”. Bei uns im Blog und anderer Stelle gegen diesen Vorstoß argumentiert.

Hans_Koehler-Kruener__Gartner__Content_Services

„Content Services“ Architektur, © Gartner 2017

Der neue Beitrag von Hanns Köhler-Krüner gibt zwar mit einer netten Grafik die Zusammen­hänge wieder, aber löst nicht die grundsätzliche Problematik. Hanns Köhler-Krüner schreibt dabei selbst, dass Content Services nur eine “technologische” Differenzierung sind und dem ursprünglichen Anspruch von ECM Enterprise Content Management – Strategien, Methoden & Technologien – nicht gerecht wird – und auch nicht gerecht werden will. Gartner geht es lediglich darum, Produkte besser klassifizieren und einordnen zu können. Die große Vision des durchgängigen Information Management ist nicht im Fokus. Die Differenzierung in CSP Content Services Platforms, CSA Content Services Applications und CSC Content Services Components selbst ist aber unvollständig, wenn man an das große Bild von ECM denkt, das auch Records Management, BPM Business Process Management, elektronische Archi­vierung und andere wichtige Komponenten beinhaltet.

Gerade im Bereich Information Management ist es heute entscheidend, nicht zu stark in Technologien zu denken. Diese ändern sich ständig, verweben miteinander, werden zu einer Infrastruktur (wie sie ECM bereits von Anfang an als Vision beinhaltete). Die organi­satorischen Aufgaben und Herausforderungen des Anwenders sollten im Vordergrund stehen. Mit Content Services als Begriff wird der Anspruch von ECM, des Information Management, zum Nebenkriegsschauplatz.

Die Wortschöpfung “Content Services” hilft nicht weiter, wie auch ein Blick in die Übersetzungshilfe von Linguee zeigt. Content Services bedeutet alles Mögliche, jedoch – noch nicht? – was sich die Protagonisten bei Gartner gewünscht hätten. Die Trennung von unstrukturiertem “Content” von strukturierten Daten ist doch zudem längst obsolet. Content Services degradiert den Anspruch von ECM Enterprise Content Management auf technische Services. Das kann man mit ECMS Enterprise Content Management Systems machen, jedoch nicht mit Enterprise Content Management als Strategie und Methode. ECM hatte immer den Anspruch in der Wahrnehmung im Markt eine ähnliche Bedeutung wie ERP, CRM, PLM, HR und ähnlich Begriffe zu erlangen. Dies hat nicht geklappt. Und mit “Content Services” wird es noch weniger klappen, denn Content Services beinhaltet keinerlei Vision. Content Services ist nicht das Banner, unter dem sich Anbieter wie auch Anwender versammeln werden. Content Services stellt einen Rückschritt dar. Im Web und Content-Management-Umfeld steht dies für Dienstleistungen und wie man diese eingeführte Begrifflichkeit “umdrehen” will – nun gut. Content Services führt in die Irre und ist unter Marketing-Gesichtspunkten schon gar nicht “sexy”.

Nun gut – ECM Enterprise Content Management in seiner ursprünglichen Definition ist nicht mehr zeitgemäß. PROJECT CONSULT vertritt diese Ansicht schon seit längerem. Aber das Thema der Methoden, Strategien und Technologien nun auf “Content Services” zu reduzieren, ist falsch. ECM ist Infrastruktur geworden und hat damit auch seine Mission erfüllt (siehe z.B. unseren Vortrag zu EIM Enterprise Information Management http://bit.ly/EIM_DrUKff), aber der Begriffsbestandteil “Services” steht nur für “Dienste” und hier ist man gleich auf einer technischen Ebene. Längst geht es auch nicht mehr darum nur “Content” sondern alle Informationen eines Unternehmens zu erschließen. “Content” wird sehr schnell im Sinn von “Web Content interpretiert und zumindest in Deutschland nicht als genereller “Inhalt” verstanden, der Daten und Dokumente einschließt. Nicht nur bei Gartner, sondern auch bei AIIM war das Thema ECM zu sehr in Richtung unstrukturierte und schwach strukturierte Informationen orientiert. Die Trennung aber von Daten (CI Coded Information) und Dokumenten (NCI Non-Coded Information) macht heute keinen Sinn mehr.

Wie stellt sich die AIIM international dem Thema?

(Anmerkung der Redaktion: In seinem Beitrag „Data + Content = Information Management“ hat John Mancini, AIIM, selbst zu diesem Thema in unserer Jubiläumssonderausgabe Stellung bezogen http://bit.ly/PCjub25Mancini)

Der internationale Dachverband AIIM Association for Image and Information Management, USA, hatte vor 19 Jahren den Begriff ECM Enterprise Content Management eingeführt. Bereits Anfang 2017 hat AIIM ein Whitepaper veröffentlicht, dass den Vorstoß Content Services unterstützen soll: http://info.aiim.org/digital-landfill/6-personal-observations-about-ecm-and-content-services

John Mancini, Ex-President der AIIM, versucht nun einen anderen Ansatz fortzuschreiben, den AIIM in den vergangenen Jahren als Grundlage für die Entwicklung der Lösungen rund um ECM vorgeschlagen hatte (http://bit.ly/ECM-Quest). AIIM hatte die Begriffe “Systems of Record” und “Systems of Engagement” eingeführt und auf einer Zeittafel anschaulich abgebildet (http://bit.ly/SoRSoE0 und http://bit.ly/SoRSoE1). Die Zeittafel endet 2015. Hier ergänzt nun AIIM das Bild der Entwicklung des “Content Management” um eine dritte Ära (http://bit.ly/SoR-SoE-SoU), die 2017 beginnt: “Systems of Understanding”. John Mancini macht hier auch deutlich, dass “Content Services” nur einen ganz kleinen Bereich der größeren Vision abdecken kann. Gut ist, dass man sich nicht mehr nur auf Content beschränkt. Aber “Data” allein ist nun auch nicht die Welt – es geht um nutzbare Information, es geht um “Information Management”. Der Begriff “Systems of Understanding” ist ebenso sperrig wie “Systems of Record” und “Systems of Engagement”. Alle drei Begriffe sind selbst für Brancheninsider sehr “erklärungsbedürftig” und werden außerhalb unserer Filterblase überhaupt nicht verstanden. Richtige Inhalte, aber zu akademisch und zu abgehoben. Auch aus diesem Ansatz wird sich keine neue Vision ableiten lassen, hinter der sich gleichermaßen Anwender wie Anbieter versammeln lassen.

In einem kurz darauffolgenden Beitrag hat John Mancini, AIIM international, “The Upside-Down World of Content Management – Again” weitere Ideen zu Content Services unter den Gesichtspunkten von Sharepoint & Office365 publiziert. In seinem Artikel “The Digital Workplace Is Flipping Content Management on Its Head” auf CMSwire (http://bit.ly/2q5Nnta) unterscheidet er nunmehr:

“(1)    ECM Land — focused on large scale, mission critical, document-intensive processes (as it has always been)

(2)     Digital Workplace Land — focused on automating the creation, management, and integration of knowledge worker content into every day processes.”

Auch dies hilft uns nicht weiter. “ECM Land” ist weit mehr als nur die Handhabung von Dokumenten. Und ECM ist nicht nur für große Unternehmen und Anwendungen. Das “Digital Workplace Land” spielt sich auf der Benutzeroberfläche ab, wo ECM nur einige Komponenten beisteuert, um Informationen bereitzustellen, zu finden und in gesicherte Umgebungen zu übernehmen (im Prinzip nur meine vor Jahren postulierten “Drei Knöpfe”).

In einem dritten Anlauf hat John Mancini in einem aktualisierten Whitepaper mit dem Titel “The next Wave – moving from ECM to Intelligent Information Management“ einen weiteren Ansatz veröffentlicht. Die Idee, die AIIM in Association for Intelligent Information Management umzubenennen hatten wir schon vor einigen Jahren promotet – und nun geht es in diese Richtung.

Auch Mancini ist nicht so ganz glücklich mit den Aussagen von Forrester und Gartner zum “Tod von ECM” und zum neu postulierten Begriff “Content Services”. Er schreibt:

<Zitat> “Before merrily marching off to some new term, let’s think a little bit about where we’ve been and what that might tell us about where we’re going. Amidst all of this change, there is a great deal that is consistent and we can build upon, even as core underlying technologies undergo enormous change.” </Zitat>

Mancini geht von dem Ansatz “People – Processes – Technology” aus und beschreibt zu­nächst die Veränderungen der letzten Jahre.

Hiervon ausgehend definiert Mancini die Komponenten von IIM Intelligent Information Management mit “Create -> Capture -> Automate -> Deliver -> Preserve -> Analyze” der IIM Roadmap ab. “Create” war bei der ersten ECM Definition vor 15 Jahren schon einmal als Schlagwort dabei, wurde aber später weggelassen um nicht in die Abteilung “Textverarbeitung” zu rutschen. Neue Begriffe sind “Automate” und “Analyze”. Ja, hier hat sich sehr viel getan, aber “Automate” war schon immer bei Capture, BPM, Deliver und anderen Komponenten dabei. Wirklich neu in der Auflistung wäre nur “Analyze”. Ob die Reihenfolge der Begriffe so sinnvoll ist, sei dahingestellt, denn z.B. “Automate” funktioniert am Besten gleich mit “Analyze” zusammen. Die klassischen “Manage”-Komponenten fallen nicht ganz unter den Tisch: „Manage: Document Management, Collaboration, Web Content Management, Records Management, Business Process Management” sondern werden neu innerhalb der Tabelle zugeordnet. Diese Zuordnung ist aber alles andere als glücklich.

Diese Neu-Zuordnungen passen nicht, da z.B. “eDiscovery” nicht nur “Preserve” ist, sondern viel ausgeprägter “Analytics”. Solche Inkonsistenzen gibt es nahezu in jedem der Kästchen. So wird auch diese Zusammenstellung nicht lange Bestand haben sondern durch einen weiteren Wurf ersetzt werden (müssen). Die Grundprinzipien eines übergreifenden Information Management wurden nicht konsequent bis zu Ende durchdacht.

Allerdings findet sich auf Technopedia schon eine Definition für IIM Intelligent Information Management:

<Zitat> Definition – What does Intelligent Information Management (IIM) mean?
Intelligent information management (IIM) is a set of processes that enables organizations to organize, manage and understand all types of data. IIM deals with data such as computer files, spreadsheets, databases and emails. Attributes that define IIM include integration of IP device discovery, data sharing, infrastructure databases, events and alarms, third-party integration, automated patching, and applications. Intelligent information management attempts to further understand all data types.“ </Zitat>

Bei AIIM sieht dies noch ganz anders aus. In seinem Whitepaper gibt John Mancini dann noch eine 9-Punkte-Liste mit Erläuterungen, wie man denn nun von ECM zu IIM kommen soll – einige Kommentare von uns dazu:

(1)       Intelligent Information Management …
eine griffige Definition für IIM Intelligent Information Management fehlt, obwohl die Erkenntnis, dass Daten und Dokumente zusammengehören jetzt drin ist. Aus der Roadmap ergibt sich auch leider keine übergeordnete Vision wie wir sie mit ECM Enterprise Content Management hatten.

(2)       There „are many “flavors” of solutions …
die geschäftlichen Anforderungen des Anwenders stehen im Vordergrund.

(3)       Digital Transformation requires both a top-down and a down-up strategy …
OK, aber die Durchorchestrierung muss von ganz oben kommen.

(4)       Digital Transformation is not likely to occur via a Big Bang …
ja, das galt auch schon für ECM, auch wenn die Projekte vielfach zu lange dauerten. Die große Herausforderung ist die enorme Beschleunigung und Dynamik der Entwicklung.

(5)        Resist the impulse to simply throw the baby out with the bathwater …
hmm … ECM wird noch eine Weile weiterleben, oder …

(6)        Make a commitment to metadata …
ja, Metadaten, Taxonomien, Ordnung sind weiterhin wichtig – aber wo sind sie auf der IIM-Roadmap?

(7)        Adopt a day-forward bias …
hmm …

(8)       Invest in building new data competencies …
ja, der Aufbau von Skills, von KnowHow, von Kompetenz ist entscheidend für Projekte und Nutzung moderner Informationstechnologien!

(9)        Lastly, stop thinking about all process issues through an ECM “prism” …
OK, aber das galt auch schon immer!

Auch diese überarbeitete Version ist “zu kurz gesprungen”. Der Ansatz Information Management ist OK, ob es außer im Namen der AIIM “Intelligent Information” braucht ist eine Stilfrage, aber “Content Services” braucht es nicht. Und das ist das einzig Positive an dem AIIM-Whitepaper.

Er beschreibt die aktuellen Trends und ihren Einfluss auf das Content Management:

Emerging Trends

Impact on Content Management

Explosive growth in the volume and variety of data AND content. Billions of new connections between objects — the Internet of Things

Users need to do so much more than just capture documents and information; they need to ingest information of ALL sorts as early as possible into business processes, and standardize and automate these processes. They then need to extract insight from this exploding volume of information and prepare for the era of machine processing and artificial intelligence. Finally, they need to develop policies and automatic processes to dispose of information without business value.

Rise of new data-centric technologies —
Hadoop, NoSQL, Blockchain

The availability of new tools to manage data at massive scale increases the need for effective management of metadata.

Incorporation of core content management capabilities in file platform themselves
(Office365, Amazon, Google, IBM/Box, DropBox) and collapsing prices for storage

Add-on core content management increasingly under price pressure, driving many solution providers to shift their focus to applications and solutions.

Expanding and increasingly challenging
national and regional compliance and regulatory demands — and the growth of cloud and privacy “nationalism”

Organizations need to take as much of the human element as possible out of governance by first converting everything to digital form (i.e., tackling the paper problem head-on) and then by getting applying semantic and auto-classification technologies.

A clear shift among the leading solutions providers to cloud-first R&D investment strategies; large-scale end users with major on-premise legacy systems are left playing catch-up

Users want content management solutions with a clear cloud strategy — even if they say they’re not ready for the cloud right now.

Er ist der Meinung, dass „ECM in den Ruhestand“ zu schicken, nicht bedeutet, dass ECM dann „weg“ ist. Wichtige unternehmenskritische Lösungen brauchen weiterhin Enterprise Content Management Funktionalität. Aber das, was die Unternehmen tun und brauchen, bedarf Funktionalität und Lösungen jenseits der bisherigen Definitionen.

Aber dies ist nicht das Ende der Diskussion. In einem weiteren Artikel postuliert nun auch John Mancini im Juni 2017 „ECM – Reports of My Death Are Greatly Exaggerated (http://bit.ly/ECMgravestone). Eine Volte rückwärts?

Der vorerst letzte Akt findet sich in unserem Blog wieder (http://bit.ly/2s0gBYd):

Nun wird es auch bei der AIIM „Information Management“.

Fazit

PROJECT CONSULT der Meinung, man sollte von Information Management im Sinne von Verwalten, Erschließen, Bereitstellen, Schützen und Nutzen von Informationen beliebigen Typs innerhalb und außerhalb der Unternehmensgrenzen sprechen: http://bit.ly/1OdzrN4 Enterprise Content Management Technologien sind hier weiterhin das “Herz” des Information Management, eine notwendige Infrastruktur. Jedoch nur noch von “Content Services” zu sprechen ist zu kurz gesprungen. Da hilft es auch nicht, eine Unterklasse von “Content Services Applications” ins Leben zu rufen.

Das mühsame Finden von neuen Oberbegriffen für Branchendefinitionen liegt bei Gartner auch in deren Organisations- und Kompetenz-Struktur begründet: Archivierung wird wo anders beurteilt als Business Process Management, Enterprise Information Management und ECM. Gartner bringt es nicht fertig, sinnvoll alle zusammengehörenden Technologien und Trends zum Informationsmanagement zusammenzubringen. Der neu eingeführte Begriff “Content Services” ist schlecht, trifft nicht warum es geht und ist so auch für die Anwender nicht hilfreich.

Bei PROJECT CONSULT bleiben wir bei Informationsmanagement als übergreifenden, ganzheitlichen Begriff für die Verwaltung und Erschließung von Information. Schließlich sprechen wir ja auch von Informationsgesellschaft (Information Society) und Informationszeitalter (Information Age). Es gibt Lehrstühle für Informationswissenschaft, Methoden wie Mike2 für Enterprise Information Management, Zertifikate zum Certified Information Professional, Berufe wie Informatiker und Informationswissenschaftler, usw. usw. Information Management ist als Begriff eingeführt.

Lasst uns nur noch von Information Management sprechen!

Über den Autor

Dr. Ulrich Kampffmeyer ist seit über 30 Jahren im Thema Informationsmanagement zu Hause. Als Geschäftsführer und Unternehmensberater seines Beratungsunternehmens PROJECT CONSULT (http://www.PROJECT-CONSULT.com) berät er Unternehmen bei der Strategie, Konzeption, Einführung, Ausbau und Migration von Information Management-Lösungen.

Er gründete und leitete Fachverbände, arbeitete bei internationalen Standardisierungen mit und gilt als Mentor der Information-Management-Branche in Europa.

Dr. Kampffmeyer ist international anerkannter Autor, Kongressleiter, Referent und Moderator zu Themen wie Information Management, Information Governance, elektronische Archivierung, Records
Management, ECM Enterprise Content Management, Dokumentenmanagement, Workflow, Rechtsfragen, Wissensmanagement, Digitalisierung und Collaboration.

Auf zahlreichen nationalen und internationalen Kongressen und Konferenzen wirkte er als Keynote-Sprecher mit. Er engagiert sich besonders für die Rolle und Ausbildung des Information Professional der Zukunft.

Von Fachzeitschriften wurde zweimal unter die 100 wichtigsten IT Macher Deutschlands gewählt. Sein Curriculum Vitae findet sich auf Wikipedia http://bit.ly/WP_DrUKff

Anschrift des Autors

Dr. Ulrich Kampffmeyer
PROJECT CONSULT Unternehmensberatung Dr. Ulrich Kampffmeyer GmbH
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